EZB-Ökonomen ändern Fazit von umstrittenem Bitcoin-Paper
Zwei EZB-Ökonomen haben ein bemerkenswertes, aber auch kontroverses Paper zu Bitcoin verfasst – und nun das Fazit geändert. Entscheidender ist aber die Frage, weshalb sie trotz wiederholter Fehlprognosen weiter die höchste monetäre Institution Europas beraten.
Man kann’s ja mal probieren. Vielleicht fällt es keinem auf. Die beiden EZB-Ökonomen Ulrich Bindseil und Jürgen Schaaf haben im Oktober ein Paper über die Umverteilungs-Effekte von Bitcoin veröffentlicht.
In diesem Paper haben sie erstmals die Möglichkeit eingeräumt, dass Bitcoin gewinnt – und vor den Folgen für die Verteilungsgerechtigkeit gewarnt. Denn wer keine Bitcoins hält, gewinnt nicht nur nicht – sondern verliert. Risiken entstehen nicht länger allein für diejenigen, die in Bitcoins investieren – sondern auch für die, die es versäumen. Die beiden Autoren haben hier etwas wichtiges erkannt, ziehen aber verheerend falsche Schlüsse daraus.
Denn das Paper mündete in einer unverhohlenen politischen Forderung: Diejenigen, die keine Bitcoins besitzen, „haben überzeugende Gründe, gegen Bitcoin zu sein und beim Gesetzgeber gegen ihn einzutreten, mit dem Ziel, dass Bitcoin nicht weiter im Preis steigt oder ganz verschwindet.“ Sie und ihre politischen Repräsentanten sollten realisieren, dass Bitcoin als ein Investment darauf beruhe, dass Wohlstand auf ihre Kosten umverteilt werde.
Das Fazit war mehr oder weniger eine Kriegserklärung. Nun haben sie es etwas abgemildert und vor allem die politischen Forderungen gelöscht, wie der Investor Tuur Demester feststellt. Die Nicht-Besitzer von Bitcoin, heißt es nun, „sollten realisieren, dass sie Gründe haben, sich vor Bitcoin zu sorgen wie auch vor Regierungen, die Bitcoin favorisieren.“
Fortschritt verbieten, damit es keine Verlierer gibt
Das ist freilich nur ein kleines Detail, ein winziges Zurückrudern, während die Botschaft nach wie vor dieselbe bleibt: Der Erfolg von Bitcoin ist besorgniserregend, und es sollten in Europa ja keine bitcoin-freundlichen Regierungen an die Macht kommen.
Wenn Google-Aktien erfolgreich sind, sollten dann Nicht-Besitzer sich davor sorgen, dass sich das Internet durchsetzt? Wenn die Elektromobilität Vermögen von BMW-Aktionären zu Tesla-Aktionären umverteilt – sollte man dann dafür sorgen, dass Regierungen gegen Elektromobilität sind? Und wie war das nochmal mit den Kutschen?
Fortschritt hat immer auch Verlierer. Doch weil Fortschritt unvermeidbar ist, schützt man die Verlierer nicht, indem man versucht, Fortschritt zu verhindern. Man schadet lediglich allen, weil man es verbietet, zu Gewinnern des Fortschritts zu werden. In gewisser Weise steht Europa an einer Schwelle: Soll man die Verlierer des Fortschritts schützen, indem man Fortschritt nicht zulässt – oder lässt man Fortschritt zu und entschädigt die Verlierer auf andere Weise?
Die Einstellung, die sich im Paper von Schaaf und Bindseil offenbart, sollte in höchstem Maße alarmierend sein. Ein fortschrittsfeindliches Europa wird niemanden vor Schaden schützen, ganz im Gegenteil, es wird dem Kontinent die Fähigkeit rauben, den Verlierern des Fortschritts zu helfen. Denn dazu braucht man auch Gewinner.
Wiederholtes Irren in Europas höchster monetärer Institution
Noch spannender ist aber die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass Schaaf und Bindseil noch im Jahr 2024 ein solches Paper für die EZB veröffentlichen. Schaaf ist ein Berater der EZB, Bindseil sogar ein Generaldirektor. Neben dem genannten haben die beiden noch zwei weitere Paper zu Bitcoin publiziert.
Eines, veröffentlicht Ende 2022, trägt den Titel: „Bitcoins letztes Gefecht„. Darin erklären sie, dass Bitcoin kein Investment ist, und raten der Finanzbranche, Abstand von Bitcoin zu nehmen, um Reputationsschäden zu vermeiden, wenn „Bitcoin-Investoren noch mehr Verluste machen.“ Das, was man derzeit sehe, sei nichts als „ein künstlicher Atemzug auf dem Weg in die Irrelevanz.“
Im Februar 2024 legen sie nach. Bitcoin atmete weiter und war noch immer nicht irrelevant geworden. Stattdessen hatte die SEC in den USA die ETFs genehmigt, und der Markt begann, wieder kraftvoll Optimismus zu schöpfen. Die beiden Autoren registrieren das zwar, sehen sich dadurch aber keineswegs widerlegt. Bitcoin hat das „letzte Gefecht“ nicht gewonnen, es dauert nur länger.
„Es gibt keinen ‚Beweis des Preises‘ in einer spekulativen Blase. Stattdessen zeigt die Reflation der spekulativen Blase, wie effektiv die Bitcoin-Lobby arbeitet. Die ‚Markt‘-Kapitalisierung quantifiziert lediglich den gesamten gesellschaftlichen Schaden, der entstehen wird, wenn das Kartenhaus zusammenfällt.“ Es sei daher wichtig für Regierungen und Behörden, die Gesellschaft vor all den Übeln zu schützen, die mit Bitcoin in Verbindung stehen, darunter auch die Verluste von Investoren, fordern die beiden. „Diese Arbeit muss noch erledigt werden.“
Wenn sie nun erneut registrieren, dass ihre Prognosen nicht eingetroffen sind, aber umso vehementer fordern, Bitcoin politisch zu ächten – wollen sie dann wirklich die Bürger der EU schützen? Oder wollen sie, dass die Regierungen sie davor bewahrt, unrecht gehabt zu haben?
Man könnte unter den Analysen der EZB noch weiter zurückgehen. Ein Artikel von 2018, aktualisiert 2021, beantwortet die Frage „Was ist Bitcoin?„. Darin erfährt man, dass Bitcoin ungedeckt ist, selten als Zahlungsmittel akzeptiert und zu volatil ist. Bitcoin sei kein Investment, sondern ein spekulatives Asset für Zocker.
Und so geht es weiter. Warum hält die EZB krampfhaft an einer Haltung fest, die sich wieder und wieder als falsch erwiesen hat? Und, vor allem: Warum dürfen Ökonomen, deren Prognosen seit Jahren zu Bitcoin völlig daneben liegen, weiterhin die höchste monetäre Institution Europas beraten? Sollte man an dieser Stelle nicht höhere Ansprüche haben? Kann es sein, dass Europa auch in dieser Hinsicht am Scheideweg steht? Wollen wir Leute vor den Konsequenzen von Irrtümern schützen – oder wollen wir, dass sie richtig liegen?