Verhaltenskontrolle über das Zahlungsmittel

China fährt seine CBDC hoch, den digitalen Yuan, und verbindet Zahlungen mit Blacklists aus dem Social Credit Score. Die Informationen dazu sind ein wenig verschwommen, geben aber aus der Vogelperspektive ein erschreckend klares Bild.

China, die vermutlich bestorganisierte Diktatur der Erde, führt derzeit eine digitale Währung ein, den e-CNY, und kontrolliert die Bevölkerung zunehmend durch einen Social Credit Score, der erwünschtes und unerwünschtes Verhalten belohnt oder bestraft.

Es scheint, als würden die beiden Systeme nun eine dystopische Vereinigung begehen. Songpinganq schreibt auf Twitter, „es geschieht.“ Sobald man einmal durch das Social Credit System auf einer Blacklist sei, „kann man nicht länger Chinas CBDC-Wallet Alipay oder Wechat Pay benutzen. Das bedeutet, du kannst kein Essen kaufen, keine Hotelzimmer bezahlen, keine Flug- oder Zugtickets buchen … und nicht online shoppen.“

Es sei unheimlich bequem, zu bezahlen, indem man mit seiner Hand winkt – WeChat Pay erlaubt dies durch das Auslesen des Handflächenabdrucks – aber „sobald du auf einer Blacklist stehst, wird das System augenblicklich deine digitale Wallet einfrieren – du kannst keine ‚Uber Eat or Ride‘ mehr ordern.“

China, warnt Songpinqanq schon im Oktober 2023, „integriert digitales Zentralbanksgeld in sein Social Credit System.“ Um Eis aus öffentlichen Gefrierschränken zu kaufen, braucht man einen Score von mindestens 550, was durch die digitalen Wallets von Alipay und WeChat bereits umgesetzt werde. Für Luxushotels brauche es 600 Punkte, 500, um sein E-Auto zu laden, 550, um in Selbstbedienungs-Supermärkten einzukaufen.

Bargeld ist weiterhin erlaubt, doch „es ist schmerzhaft, in einer bargeldlosen Gesellschaft Bargeld zu verwenden.“

Es klingt dystopisch: Chinas Social Credit Score, getrieben von einer Infrastruktur von Überwachungskameras, KI-Algorithmen und Data-Mining (etwa in sozialen Netzwerken), fließt mit dem Zahlungsmittel zusammen, der CBDC CNY-e, dem digitalen Yuan, und so setzt das Zahlungswesen fortlaufend eine Diskriminierung durch, die einem etwa das Recht entzieht, Zug zu fahren oder online zu shoppen, wenn man einen falschen Link geteilt hat.

Gruselig? Ziemlich! Aber wahr? Das ist schwer zu ermitteln.

Fake News

Erst vor einigen Tagen berichteten mehrere Magazine, dass Misinformationen zu Chinas Social Credit System zirkulierten. Ein Screenshot eines Videos zeige, wie eine Frau nicht mehr in der Lage ist, ihr E-Auto mit einer CBDC zu bezahlen, weil ihr Social Credit Score unter 550 liege.

Die Australian Associated Press (AAP) erklärt, dass Experten zufolge es in China überhaupt kein Social Credit System für Bürger gebe. Die Frau bezahle nicht mit einer CBDC, sondern mit der App WeChat vom Techkonzern Tencent. Das Bild betreffe also nur die Praxis eines Zahlungsdienstleisters und habe nichts mit Social Credits oder CBDC zu tun. Die Zahl 550 auf dem Display repäsentiere hingegen den „WeChat Pay Score“, ein System, „welches als eine Belohnung die ‚Pay Later‘ Option freischaltet.“ Wessen Score zu tief liegt, der muss sofort anstatt auf Pump bezahlen.

Auch andere Medien erklären diesen Irrtum zu ähnlichen Gerüchten, etwa, dass der Kauf an Eisautomaten mit Social Credits verbunden sind. Es gehe, in allen Fällen, lediglich um einen internen Score bei einer Zahlungs-App. Es gibt offenbar nicht wenige TikTok-Videos, die Schikanen durch Social Credits behaupten, wo es sie nicht gibt.

Alles also nur Fake News?

Begriffe entwirren

Tatsächlich sollte man zunächst nach begrifflicher Klarheit suchen. Der e-CNY ist Chinas Programm für einen digitalen, von der Zentralbank herausgegebene Yuan. Das Projekt läuft schon einige Jahre, es gibt hin und wieder Meldungen dazu, auch da und dort Pilot-Tests, aber insgesamt durchdringt es die Wirtschaft viel langsamer als erwartet. Kaum etwas zeigt dies besser als ein Bericht der South China Morning Post vom März 2024.

Die Zeitung berichtet über eine Kundenberaterin einer Bank, die ihr Einkommen als e-CNY in einer besonderen App bekommt. Sie gehört „zu einer der ersten Gruppe von Angestellten, die vollständig in digitalen Yuan bezahlt werden“. Da sie in der App keine Zinsen bekommt und damit auch kaum wo bezahlen kann, überweist sie die CNY aber fast augenblicklich auf ihr Bankkonto. Klingt nicht eben so, als beherrsche der e-CNY den Zahlungsverkehr.

Das hat eine beruhigende Ähnlichkeit zur DE-Mail und anderen Regierungsprojekten. Auch die KP in China hat Schwierigkeiten, ihre App unters Volk zu bringen.

Erwünschtes und unerwünschtes Verhalten

Komplizierter ist es beim Social Credit Score. Den gibt es und gibt es irgendwie nicht, die Meldungen dazu gehen weit auseinander. Das dystopische System der „totalen Kontrolle der Bevölkerung“, als die es im Westen, auch bei Wikipedia, gerne dargestellt wird? Oder doch nur ein Papiertiger, kaum übergriffiger als unser Schufa-Score?

Das System geht auf Pläne aus dem späten 20. Jahrhundert zurück, wird seit 2014 entwickelt und seit 2017 sukzessive eingeführt. Mitlerweile ist es in etwa zwei Drittel aller Städte aktiv.

Sowohl Individuen als auch Unternehmen bekommen einen Score, der zwischen 1 und 1000 liegt. Was genau den Score beeinflusst, hängt von Region zu Region ab. Es kann reichen, wenn man seine Eltern zu selten besucht, in Computerspielen cheatet, den Kot seines Hundes liegen lässt und so weiter. Ein einheitliches Social Credit System gibt es nicht, was erwünschtes und was unerwünschtes Verhalten ist, hängt vom Ort ab.

Individuen, bei denen der Score zu weit absackt, müssen mit Sanktionen rechnen. Schon 2019 wurde offenbar 23 Millionen Menschen wegen eines zu geringen Scores das Recht entzogen, mit dem Zug oder Flugzeug zu verreisen. Auch Verbote von bestimmten Universitäten, Beschäftigungsverbote im öffentlichen Dienst und mehr stehen zur Debatte. Durchgesetzt werden solche Verbote durch Blacklists, von denen parallel einige bestehen, und die von Unternehmen und Zahlungsdienstleister abgerufen werden.

Wer wissen möchte, wie hoch sein Score ist, muss pikanterweise bei der Zentralbank nachfragen, der People’s Bank of China. Diese führt den Score, was vermutlich seine Integration ins Zahlungswesen vereinfacht.

Auseinanderlaufende Berichte

Anders klingt es, wenn man sich auf der Diskussionsplattform Reddit umhört. In einem Thread vor fünf Monaten fragt jemand nach dem Stand des Social Credit Scores. Die häufigste Antwort ist, dass es kaum existiert.

Das System sei vorgeschlagen worden, sagt einer, „aber es wurde ziemlich schnell abgeschossen, daher redet niemand mehr darüber.“ Jemand anderes widerspricht, „es ist zu 100 Prozent in Betrieb, und zwar so weit, dass du dein Gesicht scannen musst, um öffentliches Klopapier zu bekommen.“

Ein nächster nennt es dagegen „eine Comic-Version der westlichen Vorstellung eines bösen, dystopischen, autoritären Systems. In Wahrheit braucht die Kommunistische Partei so etwas gar nicht, um die Leute zu kontrollieren.“

Die Partei habe schon längst alle Mittel, um die Menschen zu kontrollieren. Eine so sublime Methode wie den Social Credit Score habe sie gar nicht nötig.

Blacklists für Schuldner

Die Meinungen gehen offenbar auseinander. Nicht übersichtlicher wird es dadurch, dass die Social Credits zuweilen mit Blacklists über säumige Gläubiger verwechselt werden.

Ein Artikel des Wall Street Journals aus dem April berichtet eindrücklich darüber, wie es einem in China ergehen kann, wenn man nicht in der Lage ist, seine Schulden zurückzuzahlen: Man kann beispielsweise keine Tickets für die Hochgeschwindigkeitszüge, für Flüge oder gute Hotelzimmer buchen, teilweise wird man auch von Jobs bei der Regierung ausgeschlossen.

Es verschärft die Schikane noch, dass China kaum Prozeduren der Privatinsolvenz hat. Wer in der Schuldenfalle steckt, kommt so leicht nicht mehr heraus, und wird nun über Blacklists und Zahlungs-Apps wie WeChat und AliPay drangsaliert.

Aus der Vogelperspektive

Es ist also, insgesamt, verwirrend. Es gibt eine CBDC, die kaum benutzt wird, ein Social Credit System, über das widersprüchliche Informationen kursieren, und Blacklists für Schuldner, die nicht mit dem Social Credit System identisch sind, diesem aber stark ähneln.

Erhebt man seine Perspektive jedoch über diese konkreten Verwirrungen, klärt sich das Bild: Die omnipräsenten Zahlungsdienstleister wurden in China zu Organen der sozialen Kontrolle. Sie bestrafen Menschen, die sich unerwünscht verhalten – sei es im Sinne der Social Credits, sei es als unzuverlässiger Schuldner – indem sie gewisse Zahlungsmethoden oder Ausgaben blocken.

Eine CBDC, also eine digitale Währung einer Zentralbank, ist dabei maximal am Rande mit im Spiel. Aber sie ist auch nicht notwendig. Denn die Zentralisierung des Zahlungswesens auf einige wenige digitale Apps ermöglicht bereits alles, was eine CBDC kann.

Am besten wäre es vermutlich, wenn sich alle darauf einigen würden, dass CBDC nicht ein Begriff für eine spezielle Art von digitalem Geld ist – sondern eine Bezeichnung für die Risiken für die Freiheit, die die Digitalisierung des Geldes mit sich bringen kann. Und gegen die, so hofft man es, Kryptowährungen schützen können.

Quelle: bitcoin.de