Weltbank wickelt digitale Anleihe über Euroclears neues DLT-System ab — das von Ex-Bitcoin-Entwickler Mike Hearn erfunden wurde

Blockchain und Distributed Ledger Technology (DLT) haben mit Bitcoin eine monetäre Revolution ausgelöst. Für die Finanzbranche sind sie aber vor allem eine technische Evolution – die nun auch beim weltweit größten Wertpapierabwickler Euroclear ankommt.

Euroclear ist das weltweit größte Clearing-System für internationale Wertpapiere. Das Unternehmen mit Sitz in Brüssel bedient mehr als 2000 Finanzinstitute aus mehr als 90 Ländern, hat im Jahr einen Wertpapierumsatz von rund 500 Billionen Euro und hält Assets im Wert von 37 Billionen Euro. Wenn ihr eine Aktie kauft oder verkauft, ist die Chance groß, dass Euroclear dabei im Spiel ist.

Nun hat Euroclear eine digitale Plattform auf Basis einer „Distributed Ledger Technology“ (DLT) in Betrieb genommen. Diese erlaubt es, digitale internationale Wertpapier zu schaffen, herauszugeben und deren Transfer abzuwickeln. Sie nennt sich „Digital Financial Market Infrastructure“ (D-FMI) und soll im Laufe der kommenden Jahrzehnte einen immer größeren Anteil an den Operationen von Euroclear nehmen.

Eine “transformatorische Gelegenheit, die Digitalisierung der Kapitalmärkte auszuweiten”

Das erste Wertpapier, das nun vor kurzem über D-FMI abgewickelt wurde, ist eine Anleihe der Weltbank über 100 Millionen Dollar. Als Dealer fungierte dabei TD Securities, Citibank hat sie an Investoren in Nordamerika und Europa vertrieben. Mit den Erlösen aus der 3-jährigen Anleihe wird die Weltbank nachhaltige Entwicklung finanzieren.

Mit Euroclear geht also das traditionelle Finanzwesen jenen digitalisierten Weg, den Bitcoin vorzeichnete. In der Zusammenarbeit liege eine „transformatorische Gelegenheit, die Digitalisierung der Kapitalmärkte auszuweiten,“ kommentiert Anshula Kant von der Weltbank. Auch Lieve Mostrey, CEO von Euroclear, nennt den Start der Plattform „einen signifikanten Schritt der digitalen Evolution unserer Finanzmärkte, der das riesige Potenzial digitaler Assets eröffnet.“

Ähnliche Kommentare kommen von Citibank und TD Securities, ohne dass die tatsächlichen Vorteile des Modells oder die Technologie überhaupt thematisiert werden. Konkreter wird Euroclear allerdings in einem im September erschienen Whitepaper zu DLT.

“Die Herausgabe von Wertpapier radikal umformen”

Mittlerweile arbeiten, erklärt das Whitepaper, zahlreiche Finanzinstitutionen mit DLTs oder haben weitläufige Piloten und Projekte gestartet. Daher materialisieren sich die Vorteile dieser Technologie immer deutlicher.

Sie bietet etwa „ein einzigartiges Niveau der operativen Effizienz und Liquidität, das Vorteile für den gesamten Handelsfluss und alle Asset-Klassen birgt.“ Die verteilten Kontobücher können „die Herausgabe von Wertpapieren radikal umformen, das Settlement beschleunigen und die Datentransparenz stärken.“ DLTs „eliminieren ganze Tage aus dem Zyklus der Herausgabe von Anleihen“. Sie reduzieren Risiken, schaffen neue Geschäftsgelegenheiten, machen durch Fraktionalisierung Wertpapiere zugänglicher und verbessern die finanzielle Inklusion. Die „fundamentale Umstellung“ von der sequenziellen zur synchronen Verarbeitung im Handelszyklus“ zeige „zunehmend positive Wirkungen“.

Schön. Aber was genau meint eigentlich DLT? Ist das nur ein Synonym für Blockchain, nachdem der Begriff durch Hypes, hohle Versprechen und Blasen verbrannt wurde? Oder handelt es sich um eine verwandte, aber andere Technologie? Oder hat Euroclear lediglich seine Datenbanken modernisiert und nennt es DLT, weil es besser klingt?

Ein alter Bekannter ist zurück

Man muss ein wenig recherchieren, um zu erfahren, dass die DLT von Euroclear auf R3s Corda beruht. Die R3-Webseite bleibt mit konkreten technischen Informationen zu Corda zwar sparsam, doch wenn man ein wenig sucht, findet man das Whitepaper dazu.

Verfasst hat das Corda-Whitepaper ein alter Bekannter, der vielen, die schon länger mit Bitcoin zu tun haben, ein Begriff sein dürfte: Mike Hearn, einer der frühesten Bitcoin-Entwickler, der mit Satoshi himself Mails ausgetauscht, mit seinem XT-Client den Blocksize-Streit angefacht und schließlich 2016 mit seinem legendären wütenden Abschiedspost das Ende von Bitcoin verkündet hat. Dass es nun seine Technologie bis zu Euroclear gebracht hat, kann man auch als späten ironischen Triumph verstehen.

Corda selbst ist tatsächlich keine Blockchain, da die Transaktionen nicht in Blöcke zusammengefasst werden. Es handelt sich vielmehr um ein verteiltes Informationsnetzwerk von genehmigten Nodes. Transaktionen werden nicht öffentlich propagiert, sondern an die Zielnodes gesendet, aber zuvor von Notar-Nodes validiert.

Mit Bitcoin gemeinsam hat Corda das UTXO-System, weshalb Transaktionen ein ähnliches Format haben. Allersdings erlaubt Corda einfachere Suchfunktionen, freiere Datenanhänge, verschiedene Transaktionstypen und Smart Contracts.

Corda steht nicht in Konkurrenz zu Bitcoin, sondern zu Ethereum. Nachdem die meisten Banken begonnen haben, mit Ethereum oder einer verwandten Blockchain zu arbeiten, entscheidet sich Euroclear nun für ein radikal anderes, abgeschlosseneres und weniger dezentrales Modell. Die Frage, wie das Finanzwesen der Zukunft aussehen wird, spitzt sich mit Euroclears D-FMI zu.

Quelle: bitcoin.de